Marc Martinet: "Ich bin Vollblut-Schiri"

Marc Martinet: "Ich bin Vollblut-Schiri"

Marc Martinet ist seit drei Jahren als Schiedsrichter für Bayer 04 Leverkusen aktiv. Der 15 Jahre alte Schüler steht, wann immer es geht, mit der Pfeife auf dem Platz. Im Interview erklärt der Nachwuchsschiri seine frühe Faszination und die Vorteile am Schirisein.
 

Marc, du bist 15 Jahre alt und hast schon mehr als 100 Spiele als Schiedsrichter geleitet. Wann standest du erstmals mit der Pfeife auf dem Platz?

Marc Martinet: Ich habe da ziemlich gedrängelt. Eigentlich wollte ich schon mit elf Jahren pfeifen. Das ging aber leider noch nicht. Die Regel erlaubt es offiziell erst mit 14. Zum Glück wurde bei mir eine kleine Ausnahme gemacht. Mit zwölf durfte ich dann das erste Mal selbst pfeifen. Wenn es nach meiner Mutter gegangen wäre, hätte ich erst später anfangen dürfen. Da haben mein Vater und ich uns ein bisschen durchgesetzt. (lächelt) Seitdem bin ich Vollblut-Schiri.
 

Wie oft sieht man dich aktuell auf dem Fußballplatz?

Martinet: Im DFBnet kann ich als Schiedsrichter einstellen, bei wie vielen Spielen und an welchen Wochentagen ich eingesetzt werden möchte. Ich kann freitags bis sonntags als Schiri eingesetzt werden, ich pfeife im Durchschnitt zwei Spielen pro Woche. Seit Mai komme ich somit auf ungefähr 70 Spiele.
 

Bleibt da zwischen Schule und Schiedsrichterei noch Zeit, selbst Fußball zu spielen?

Martinet: Ich habe selbst immer eher Basketball gespielt. Als Vier- oder Fünfjähriger habe ich Fußball ausprobiert, bin aber beim Basketball hängen geblieben. Ich habe dann irgendwann den Basketball gegen die Pfeife eingetauscht.
 

Warum bist du nicht Basketball-Schiri geworden?

Martinet: Gute Frage. Mein Vater ist auch aktiver Fußball-Schiedsrichter. Ich habe ihn früher häufig begleitet, und nach ein paar Spielen konnte ich es kaum noch erwarten, selbst mal zu pfeifen. Ich weiß auch nicht warum, aber Schiedsrichter-Sein im Fußball hat mir direkt zugesagt. Basketball-Schiedsrichter habe ich tatsächlich nie in Erwägung gezogen.
 

Du hast früher oft bei deinem Vater an der Seitenlinie zugeschaut. Hat sich das mittlerweile gedreht, schaut er bei dir zu?

Martinet: Früher habe ich wirklich häufig bei ihm zugesehen und mir das eine oder andere abgeguckt. Mittlerweile bin ich auch viel als Assistent unterwegs, da kann ich ebenfalls viel beobachten und lernen. Ich picke mir gerne mal ein paar Rosinen raus. Die guten Dinge nehme ich mit, und das weniger Angenehme können ja auch mal die anderen übernehmen. (lacht) Mein Vater kommt ab und an zu meinen Spielen, vor allem wenn es besondere Spiele für mich sind. Letztes Jahr durfte ich zum Beispiel beim Kreispokalfinale der Junior*innen dabei sein, da kam er zur Unterstützung mit.
 

Bei Bayer 04 Leverkusen bist du gelandet, weil dein Vater dort auch aktiv pfeift?

Martinet: Genau. Mein Vater war bei Bayer direkt begeistert von der tollen Unterstützung. Ich darf zum Beispiel vor Ort ins Fitnessstudio, in dem zu gesonderten Zeiten auch die Profis arbeiten. Ansonsten werden wir Schiedsrichter in Ausrüstungsfragen wie bei Trikots, Pfeifen oder neuen Fußballschuhen unterstützt. Leverkusen hilft da bei allem, auch wenn man irgendwelche anderen Probleme hat, haben wir tolle Ansprechpartner*innen bei Bayer 04.
 

In welchen Ligen pfeifst du momentan?

Martinet: Da muss ich ein bisschen ausholen. Es gibt ein Konzept, das nennt sich Verbandsförderkader (VFK; Anm. d. Red.) für U 18-Schiedsrichter, die Talent mitbringen. Letztes Jahr habe ich es in den VFK geschafft, da war ich noch 14, im Vergleich mit den meisten anderen noch sehr jung. Dadurch darf ich Spiele in der U 19-Mittelrheinliga pfeifen. Das ist die höchste Spielklasse, die ich im Jugendbereich begleiten kann. Vor kurzem habe ich die Nachricht bekommen, dass ich in die Kreisliga A im Herrenbereich aufgestiegen bin. Das wird jetzt in Zukunft mein nächstes Level sein.
 

Welche Ziele treiben dich an?

Martinet: Da der nächste Schritt in den Perspektivkader erst mit 18 Jahren möglich ist, habe ich mein momentanes Maximum im Jugendbereich erreicht. Im Perspektivkader ist das Ziel, es als Schiedsrichter von der Bezirksliga der Herren bis in die Regionalliga zu bringen und damit in Richtung des Elitebereichs. Um die Bedingungen für den Perspektivkader zu erfüllen, müsste ich Herren-Bezirksliga pfeifen. Das ist also das nächste Ziel. Dieses Jahr ist das noch sehr unrealistisch, weil ich noch kein Kreisliga-A-Spiel gepfiffen habe. Ich setzte mich nicht unter Druck, aber mit 18 spätestens ist das schon mein Ziel.
 

Wo soll es beruflich für dich hingehen?

Martinet: Ich möchte Jura studieren, das ist mein großer Wunsch, den ich mir fest in den Kopf gesetzt habe. Ich denke, dass sich Jura und die Schiedsrichterei ganz gut vereinen lassen. Entscheidungen fällen, argumentieren, für Recht sorgen, da gibt es einige Überschneidungen. Da Schiedsrichter in Deutschland kein eigenständiger Beruf ist, brauche ich auf jeden Fall eine anderweitige Beschäftigung, und momentan kommt für mich nur Jura in Frage.
 

Um auf dem Platz für Recht und Ordnung zu sorgen: Wie wichtig ist die Erfahrung?

Martinet: Enorm wichtig. Erfahrung ist ein Faktor, mit dem man sehr viel regeln kann. Wenn eine skurrile Situation ein zweites Mal vorkommt, weißt du ganz genau, was du machen musst. Und die Routine nimmt mit jedem Spiel zu. Natürlich sind Schulungen auch wichtig, um Input zu bekommen, aber die Erfahrung auf dem Platz ist Gold wert.
 

Du sammelst diese Erfahrungen gleich in Kölns Kreisligen. Ein hartes Pflaster für den Start.

Martinet: Man fängt ja nicht bei den Herren an, sondern im Jugendbereich. Aber ich bin das gewohnt, weil ich damit aufgewachsen bin. Es macht einen großen Unterschied, ob ich die Mittelrheinliga im Jugendbereich oder die Herren-Kreisliga pfeife. In der Kreisliga sind teilweise Leute, die gefühlt seit 20 Jahren für den Verein spielen. Die sind da aufgewachsen, die kennen sich aus und machen schon auch mal Theater, wenn du schlecht pfeifst. Dafür ist im Juniorenbereich die Qualität des Spiels höher, und so muss ich, je nachdem in welcher Liga ich gerade unterwegs bin, tatsächlich hin und wieder ein bisschen anders pfeifen.
 

Wie strahlst du im Gespräch mit einem deutlich älteren Kreisligaspieler die nötige Ruhe aus, wenn es mal emotional wird?

Martinet: Ruhe und Konsequenz sind schon zwei der wichtigsten Punkte. Auch wenn du zu Hause oder in der Schule Stress hast, bist du innerlich unruhig. Sowas merken Spieler auf dem Platz sofort. Wenn du nicht bei 100 Prozent bist, kann dir ein Spiel auch mal entgleiten. Darum sind Ruhe und Konsequenz so bedeutsam für mich. Wenn das Spiel am Ende hektisch wird und du selbst auch, ist das nie gut.
 

Hilft dir das, menschlich zu wachsen?

Martinet: Absolut. Man lernt als Schiedsrichter auf jeden Fall auch für das Leben. Es stehen 22 unterschiedliche Menschen auf dem Feld, jeder tickt anders, redet anders, da gilt es, sich anzupassen. Generell ist Kommunikation ein großes Thema. Jeder Spieler ist da individuell. Du musst lernen, wie du mit den Spielern reden musst, da braucht es auch ein gutes Gespür. Aber mir macht es unglaublichen Spaß, mit so vielen verschiedenen Menschen zu arbeiten - und für das Selbstbewusstsein ist es auch nicht ganz schlecht.
 

Kann man sich auf hektische Situationen vorbereiten?

Martinet: Speziell nicht, aber die Spielvorbereitung an sich ist ein wichtiger Punkt. Das fängt mit der Ansetzung an. Ab dann verfolge ich beide Teams schon mal ein bisschen. Wo stehen die Mannschaften in der Tabelle? Welcher Spieltag ist es? Gab es zwischen beiden Teams schon mal Probleme? Das geht am Spieltag selbst weiter. Da kann man sich das Leben leichter oder schwerer machen, je nachdem wie man miteinander umgeht. Wenn ich da vorher kein Wort mit den Spielern rede und arrogant rumlaufe, kommt das nicht so gut an. Du bekommst oft das zurück, was du reingesteckt hast. Also wenn du selbst positiv bist, dann sind die Spieler meistens auch gut drauf.
 

Ein 15-Jähriger, der Kreisligaspiele leitet: Welche Reaktionen bekommst du auf diese außergewöhnliche Geschichte?

Martinet: Die Reaktionen im Umfeld sind eigentlich durchweg sehr positiv. Oft werde ich auf strittige Szenen in der Bundesliga angesprochen und nach meiner Einschätzung gefragt. Meine Familie findet das auch ganz cool. Manchmal fragt jemand, warum ich mir das antue. Aber wie gesagt, es macht mir extrem viel Spaß, und ich könnte es mir ohne nicht mehr vorstellen.
 

Was waren denn die Highlights in deinen drei Jahren als Schiedsrichter?

Martinet: Die Pokalfinals der Juniorinnen und Junioren waren unglaublich. Es waren so viele Zuschauer da, das Spielniveau war ziemlich gut und ich durfte sogar ein Finale selbst pfeifen. Das sind dann Erlebnisse, die bleiben präsent, und über die freue ich mich immer noch. Aber auch das Benefizspiel der Profis von Bayer 04 Leverkusen nach der Flutkatastrophe im Ahrtal war ein Highlight. Unter anderem hat Kerem Demirbay mitgespielt, und ich durfte pfeifen. So was bleibt auf jeden Fall hängen.
 

Kannst du als Schiedsrichter Bundesligaspiele noch normal verfolgen, oder achtest du nur noch auf die Unparteiischen?

Martinet: Sowohl als auch. Manchmal schaue ich nur auf das Verhalten des Schiedsrichters. Wie läuft er? Wo guckt er hin? Aber ich kann Fußball auch noch normal genießen. Ich gehe regelmäßig ins Stadion und kommentierte dann auch gerne einige Schiedsrichterentscheidungen gemeinsam mit Freunden. Aber das Spiel steht schon noch im Vordergrund.
 

Längst nicht alle jungen Menschen widmen sich mit einer solchen Begeisterung dem Schiri-Hobby wie du. Es herrscht Nachwuchsmangel, der im Jahr der Schiris vom DFB und den Landesverbänden gemeinsam mit den Amateurvereinen, Kreisen und Schiri-Gruppen angegangen werden soll. Wo siehst du die Gründe für die Herausforderungen?

Martinet: Ein Problem ist, dass viele Neulinge bereits nach wenigen Monaten wieder aufhören. Oft liegt dem ein möglicherweise schlechtes Erlebnis zugrunde, oder vielleicht fehlt manchmal einfach auch der Spaß. Ich glaube, dass das Verhalten aller auf dem Spielfeld eine starke Rolle spielt. Ich kann es mir aber nicht genau erklären. Ich persönlich liebe es, als Schiedsrichter unterwegs zu sein. Vielleicht braucht es mehr Anerkennung und Wertschätzung auf dem Spielfeld. Ich habe von einigen Kollegen mitbekommen, dass sie aufgehört haben, weil sie sich nicht als Person wertgeschätzt gefühlt haben. Da muss sich schon etwas ändern.
 

Warum macht dir der Schiri-Job trotz dieser negativen Aspekte so viel Spaß?

Martinet: Klar, es gibt es Sprüche wie "Schiri, was pfeifst du für ne Scheiße?" Das gehört dazu. Da braucht es eine gewisse Fähigkeit, das an sich abprallen zu lassen - und manchmal auch einen kleinen Konter. Ansonsten hatte ich da noch keine größeren Probleme. Aber für mich ist es ein super Hobby. Du machst Sport, hast dabei Kontakt mit unterschiedlichsten Menschen und kriegst einen guten Taschengeld-Zuschuss. Der steht für mich nicht im Vordergrund, aber es wäre gelogen zu sagen, dass man den nicht gerne mitnimmt. Ich kann mich als Mensch weiterentwickeln. Ich finde, man wächst daran. Es ist ein absolut geiles Gesamtpaket. Wie ich schon sagte: Ich könnte es mir nicht mehr ohne vorstellen.

 

Text- und Fotoquelle: DFB
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